KI-Revolution bei Google – Fluch oder Segen?

Was passiert, wenn das Tor zur digitalen Welt plötzlich nicht mehr in die Tiefe führt, sondern nur noch an der Oberfläche kratzt? Wenn Nutzer ihre Antworten direkt bei Google erhalten – ohne dafür je eine Website besuchen zu müssen? Und was bedeutet das für Unternehmen, die jahrelang in Suchmaschinen-Optimierung investiert haben?

Die im Mai 2024 zunächst in den USA und jetzt, ein Jahr später, auch in Deutschland eingeführte KI-Übersicht („AI Overview“) von Google markiert nicht weniger als einen Paradigmenwechsel. Was ursprünglich als Werkzeug zur Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit konzipiert war, stellt inzwischen eine existentielle Bedrohung für viele Online-Unternehmen dar. Denn die Antworten auf Suchanfragen werden nun direkt auf der Ergebnisseite generiert – prägnant, zusammengefasst, vollständig. Der Klick auf die Quelle? Wird immer öfter überflüssig.

Die Folgen sind dramatisch. Online-Medien verzeichnen einen signifikanten Besucher-Rückgang. DIY-Blogger verlieren über Nacht drei Viertel ihres Traffics – und mit ihm die Existenzgrundlage ihres Online-Geschäfts. Einige Reise-Seiten sprechen gar von einem Besucher-Rückgang von 80 Prozent und mehr. Und das sind keine Einzelfälle. Neueste Studien zeigen: In Deutschland brach die wichtige Click-Through-Rate (CTR) seit Einführung der Funktion um durchschnittlich 14 Prozent ein. In den USA sind inzwischen sogar Rückgänge von bis zu 55 Prozent dokumentiert.

Wie kam es dazu? Googles KI-Offensive ist eine Antwort auf die zunehmende Konkurrenz durch spezialisierte KI-Dienste wie ChatGPT, Perplexity oder DeepSeek, die längst nicht mehr nur chatten, sondern recherchieren, analysieren und komplette Inhalte aufbereiten. Um Nutzer auf der Plattform zu halten, extrahiert Google nun Inhalte aus Websites und präsentiert sie in KI-generierten Antworten – oft ohne den Kontext, ohne Klick und ohne Traffic für die Quelle.

Wenn Suchmaschinen sich nicht mehr als Vermittler, sondern als Endpunkt der Informationskette verstehen – wozu dann noch originellen Content produzieren? Doch ist das gerecht? Ist es nachhaltig? Und schließlich: Ist es legal?

Die Entwicklung stellt die gesamte SEO-Branche vor neue, bislang nicht gekannte Herausforderungen. Die klassischen Erfolgsfaktoren wie Keywords, Backlinks und technische Optimierung verlieren massiv an Wirkung. Denn Impressions bedeuten nicht mehr automatisch auch Relevanz – und erst recht nicht Klicks.

Hinzu kommt, dass die Platzierung in der KI-Übersicht schwer vorhersehbar ist. Google experimentiert ständig mit Algorithmen. Oft tauchen Seiten in der Übersicht auf, die im organischen Ranking nur auf zweistelligen Plätzen stehen. Relevanz, Inhaltstiefe und Struktur zählen mehr als je zuvor – während die klassische „Position 1 bei Google“ rapide an Glanz verliert.

Unternehmen und Agenturen müssen sich also völlig neu orientieren. Ist es Zeit für eine Generative Search Optimization? Für Inhalte, die gezielt darauf ausgelegt sind, in KI-Antworten aufzutauchen – semantisch präzise, informativ, originell? Gleichzeitig wird die einseitige Orientierung auf Suchmaschinen-Rankings immer problematischer. Vielmehr gewinnt die Diversifikation der Traffic-Quellen nicht nur an Bedeutung, sie wird überlebenswichtig: Newsletter, Social Media, eigene Apps und Community-Aufbau werden viel stärker zu strategischen Erfolgsfaktoren.

Was als besonders alarmierend empfunden wird: Selbst Plattformen, die sich strikt an Googles Vorgaben gehalten haben, werden nicht verschont. Der Fall eines bekannten Outdoor-Magazins, das nach dem Traffic-Verlust vor dem Aus steht, verdeutlicht die Dramatik. Und die jüngste Klage des Bildungsunternehmens Chegg aus Santa Clara, Kalifornien, das den Verleih von digitalen und physischen Lehrbüchern sowie Online-Nachhilfe und andere Dienstleistungen für Studenten anbietet, zeigt, dass auch große Akteure sich betrogen fühlen.

Steht uns sogar eine digitale Enteignung bevor? Wenn Inhalte genutzt werden, ohne dass deren Urheber davon profitieren, ist das nicht mehr nur ein SEO-Problem – sondern eine urheberrechtliche Grundsatzfrage. Medienexperten sprechen bereits von einem „Content-Diebstahl“, der langfristig die Vielfalt und Qualität im Netz ernsthaft gefährdet. Auch Regulierungsbehörden wie die britische CMA prüfen mittlerweile mögliche Eingriffe.

Wie also darauf reagieren? Aufgeben ist natürlich keine Option. Aber Anpassung ist unumgänglich. Unternehmen müssen lernen, wieder echte Beziehungen zu ihren Zielgruppen aufzubauen. Sie müssen ihre Inhalte so gestalten, dass sie selbst dann noch einen Mehrwert bieten, wenn die KI bereits eine Zusammenfassung geliefert hat. Persönlichkeit, Tiefe und Exklusivität werden zu neuen Werten im digitalen Wettbewerb.

Die Entwicklung hat allerdings auch eine Kehrseite: Wenn niemand mehr in Internet-Werbung investiert, die keinen Traffic bringt, sondern weitgehend wirkungslos verpufft, gräbt sich Google damit nicht am Ende selbst das Wasser ab?

Fazit: Die Ära der „zehn blauen Links“ neigt sich dem Ende zu – und mit ihr ein ganzes Geschäftsmodell, das auf Sichtbarkeit und organischem Traffic beruhte. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, sich in einem Suchmaschinen-Ökosystem zu behaupten, das sich radikal verändert. Es gilt, neue Strategien zu entwickeln, technologische Innovation nicht nur zu akzeptieren, sondern aktiv mitzugestalten. Nur wer die eigene Relevanz über die bloße Auffindbarkeit hinaus definiert, wird in der KI-Zukunft bestehen. Die zentrale Frage ist: Will man weiterhin gefunden werden – oder reicht es, nur zitiert zu werden?

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